Nicht-Entscheidung = Enthaltung
= staatlicher Handlungsbedarf?!
Die unterschiedlichen Ergebnisse für die beiden gewählten Fragestellungen „Niere erhalten“ vs. „Niere potentiell spenden“ legen nur einen Schluss nahe: Es gibt pro Frage unterschiedlich hohe Anteile von Menschen, die sich nicht aktiv entscheiden wollen oder können. Und wer sich nicht entscheiden kann oder will, der enthält sich der Stimme. Bei einer Fragestellung mit Vorgabewert heißt Enthaltung aber, passiv den Vorgabewert zu wählen.
Wenn ich mich nicht entscheiden kann, dann vertraue ich typischerweise demjenigen, der mich gefragt hat – im vorliegenden Fall der Gemeinschaft aller, also dem Staat. Bei Fragen, die den Menschen stark genug interessieren (Dialysepatienten, die sich nach einer Spenderniere sehnen), haben die Form der Frage und die Wahl des Vorgabewertes keinen Einfluss auf das Ergebnis. Eine staatliche Intervention wird deshalb nicht gebraucht. Genauso verhält es sich, wenn Stimmenthaltung eine echte Option ist, wie in jeder parlamentarischen Wahl.
Aber immer dann,
- wenn sich eine Frage von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung stellt,
- die keinen sinnvollen Mittelweg zulässt,
- die aber wegen zu geringer unmittelbarer Betroffenheit der Menschen zu einer großen Zahl impliziter Stimmenthaltungen führt,
muss der Staat den Vorgabewert festlegen.
Mir fällt kein Argument ein, das vor diesem Hintergrund einen anderen Vorgabewert rechtfertigen würde, als denjenigen, der die Zahl der Organspenden erhöhen würde.
Diese Position wäre wirklich unangreifbar, wenn jeder Mensch wenigstens einmal aktiv mit der Frage konfrontiert würde, etwa im Fall von Kindern bei der ersten Eintragung des Neugeborenen beim Standesamt durch die Eltern und dann jeder Mensch für sich aus Anlass der Ausstellung des ersten Personalausweises. Und natürlich hätte jeder Mensch das Recht, die von ihm explizit oder implizit gewählte Festlegung jederzeit auf einfachem Weg zu ändern.
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